In unseren Seminaren zum Thema Veränderung fragen besonders Führungskräfte immer wieder, wie es ihnen gelingen kann, die Mitarbeitenden erfolgreich mitzunehmen. Oft versuchen sie, jeden Einzelnen für die Neuerungen zu gewinnen. Dafür wenden sie dann auch sehr viel Energie auf, denn es gibt ja immer ein paar Leute, die nicht überzeugt sind und stark gegen die Veränderung halten. Dies gehört übrigens auch zu einer gesunden Dynamik dazu.

Ich erkläre dann immer den sogenannten Kipppunkt. Dieser Begriff ist durch die Klimaforschung bekannt geworden und beschreibt einen Moment, nach welchem Dinge nicht mehr rückgängiggemacht werden können. Wenn das Eis der Arktis erstmal abgeschmolzen ist, ist sie eisfrei und das Wasser zu warm, um sich wieder zurückzuentwickeln, mit massiven Konsequenzen.

In den Sozialwissenschaften wurde gezeigt, dass diese Dynamik für das menschliche Miteinander genauso gilt. Auch wenn gesellschaftliche Systeme komplexer und dementsprechend weniger einfach zu beschreiben sind, weiß man, dass eine Menge von 20-30% reicht, um eine Gruppe zu einer nachhaltigen Veränderung zu beeinflussen. So zeigt zum Beispiel Volkswirt Johannes Rode, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen einen sogenannten Lawineneffektauslösen kann, der die Mehrheit zu einer Veränderung bewegt. Damit das klappt, ist es zentral, entschieden aufzutreten und nicht sofort zurückstecken. Denn im ersten Anlauf klappt keine Veränderung. Außerdem muss natürlich eine gewisse potenzielle Bereitschaft zur Veränderung da sein.

Es reicht also, wenn Führungskräfte sich darauf konzentrieren, 20-30% der Mitarbeitenden wirklich für den Weg der Transformation zu gewinnen. Sie können darauf vertrauen, dass so eine Sogwirkung entsteht, die den Rest mitzieht.

Berücksichtigen muss man natürlich, dass das Ganze auch andersrum funktioniert; wenn 20-30% der Mitarbeitenden vehement gegen einen Transformationsprozess halten, können sie diesen verhindern. Man sollte also das Ausmaß, in dem eine Gegenstimmung aufgebaut wird, immer im Blick behalten und rechtzeitig reagieren. Spätestens wenn es einen starken Widerstand von 5-10% der Mitarbeitenden gibt, sollte man diese aktiv einbinden und ihre Bedenken frühzeitig in den Prozess integrieren.

Text inspiriert durch den Zeit-Artikel “Ganz schön wackelig”, veröffentlicht am 01.02.2024